Arztbesuch: Vorsicht beim Vorkassen-Modell
Warnung vor Kostenfalle für gesetzlich Krankenversicherte - Vorkasse beim Arzt bedeute dann Vorfahrt für den vollen Geldbeutel
Es drohe ein massives Drängen der Patienten in die Kostenerstattung für zunächst ein Quartal, um bei der Terminvergabe in der Arztpraxis bevorzugt zu werden
(26.10.10) - Ein tiefer Griff in die Tasche der Versicherten seien die Pläne der Bundesregierung zur Ausweitung der Kostenerstattung im Gesundheitswesen. Das kritisieren der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der Sozialverband VdK Deutschland und der Vorstand des AOK-Bundesverbandes.
Die Organisationen fordern die Bundesregierung auf, die geplante Gesetzesänderung aufzugeben und den Verbraucher vor dieser Kostenfalle zu schützen. Um die Transparenz im Gesundheitswesen zu erhöhen, sprechen sich die drei Verbände dafür aus, das Instrument der Patientenquittung fortzuentwickeln. Die Patientenquittung gibt es seit 2004 auf freiwilliger Basis. Sie weist Leistung und Kosten einer Behandlung aus.
Die Pläne der Bundesregierung zur Kostenerstattung bedeuten, dass mehr gesetzlich versicherte Patienten ihre Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte zunächst selbst bezahlen und sich danach den Rechnungsbetrag von ihrer Krankenkasse erstatten lassen sollen. Was sich auf den ersten Blick so harmlos anhöre, sei bei näherem Hinsehen für Verbraucher höchst folgenreich: Wenn der Verbraucher sich für die Kostenerstattung entscheide, rechne der Arzt jede einzelne erbrachte Leistung nach der privatärztlichen Gebührenordnung (GOÄ) mit 2,3-fachem Satz ab.
Das bedeute, der Arzt bekomme mehr als das Doppelte der bisherigen Einnahmen. Die Gesetzliche Krankenkasse dürfe dem Patienten bei Anwendung der Kostenerstattung aber nur den gesetzlich festgelegten Betrag erstatten. So entstünden hohe Differenzbeträge von mehr als 50 Prozent, auf denen der Verbraucher letztlich sitzen bleibt.
Im Vergleich zur GKV würden den Privaten Krankenkassen die Kosten auf dramatische Weise davonlaufen, sie müssten ihren Versicherten von Jahr zu Jahr immer höhere Prämien in Rechnung stellen. Ein Grund: Ärzte würden Privatpatienten nicht nur unter gesundheitlichen, sondern auch unter Ertragsgesichtspunkten behandeln, dies zulasten der Versicherten. Diese Entwicklung drohe mit der Kostenerstattung nun auch den gesetzlich Versicherten.
Welche gravierenden finanziellen Folgen auf die Versicherten zukommen würden, soll ein Beispiel zeigen:
Eine 68-jährige Frau geht mit Sehstörungen zum Augenarzt. Dort wird ein Glaukom (Grüner Star) diagnostiziert. Da sie sich für Kostenerstattung entschieden hat, erhält sie eine Honorarrechnung. Diese beträgt 409 Euro, denn der Arzt hat nach GOÄ (2,3-fachem Satz) abgerechnet. Ihre Krankenkasse übernimmt davon 72 Euro, so dass sie für den Differenzbetrag von 337 Euro selbst aufkommen muss.
Die Bundesregierung plant, die Bindungsfrist für Kostenerstattung von einem Jahr auf drei Monate zu verkürzen. Ärzte hätten ein ökonomisches Interesse daran, dass sich Patienten für das Vorkasse-Modell entscheiden. Es drohe ein massives Drängen der Patienten in die Kostenerstattung für zunächst ein Quartal, um bei der Terminvergabe in der Arztpraxis bevorzugt zu werden.
Wer sich gegen dieses Abrechnungsverfahren entscheide, habe dann das Nachsehen und müsse sich bei manchen Ärzten auf längere Wartezeiten einstellen. Von der von Bundesgesundheitsminister Rösler ins Feld geführten Freiwilligkeit könne daher kaum die Rede sein. Vorkasse beim Arzt bedeute dann Vorfahrt für den vollen Geldbeutel.
Befragungen hätten gezeigt, dass Privatversicherte im Gegensatz zu gesetzlich Krankenversicherten deutlich häufiger den Eindruck haben, dass bei ihnen nicht notwendige Untersuchungen und Behandlungen durchgeführt werden. Dieses Risiko werde für Verbraucher, die für die Vergütung der ärztlichen Leistung Kostenerstattung wählen, stark ansteigen.
Ulrike Mascher, Präsidentin Sozialverband VdK Deutschland, sagte: "Die Kostenerstattung kann für Versicherte zu bösen Überraschungen führen, wenn sie nach der Behandlung auf einem Großteil der Kosten sitzen bleiben. Deshalb müssen Versicherte auch davor gewarnt werden, sich von Ärzten zur Behandlung auf Rechnung drängen zu lassen. Der Sozialverband VdK rät Versicherten grundsätzlich davon ab, auf die Kostenerstattung umzuschwenken."
Jürgen Graalmann, stellvertretender Vorsitzender vom AOK-Bundesverband, sagte: "Kostenerstattung löst kein einziges Problem im Gesundheitswesen. Sie bedeutet schlicht und einfach eins - die Patienten müssen löhnen, die Ärzte kassieren."
Gerd Billen, Vorstand beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) stellte fest: "Patienten und Ärzte sollten wissen, was eine Behandlung kostet. Das geeignete Instrument dafür ist die Patientenquittung, nicht die Kostenerstattung. Denn das geltende Sachleistungsprinzip sorgt nicht zuletzt für Qualität und Effizienz im Gesundheitssystem."
(Sozialverband VdK Deutschland: ra)
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