Sie sind hier: Home » Recht » Kartellrecht

Abmahnung gegen Hilfsmittel-Verbände


Bundeskartellamt: Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand halten wir die Bildung einer Anbietergemeinschaft aus nahezu allen relevanten Hilfsmittel-Verbänden für unvereinbar mit dem Kartellverbot
Die Beteiligten an der ARGE hatten die gemeinsam geforderten Preisaufschläge gegenüber den Krankenkassen mit kostenrelevanten Auswirkungen der Corona-Pandemie begründet




Das Bundeskartellamt hat der Arbeitsgemeinschaft von Hilfsmittelverbänden (ARGE) seine vorläufigen Ermittlungsergebnisse im Verfahren wegen gemeinsamer Preisaufschläge zu Lasten der Krankenkassen zur Stellungnahme übersandt. Die ARGE repräsentiert einen Großteil der relevanten Leistungserbringer (insb. Sanitätshäuser) für Hilfsmittel im Bereich Reha und Pflege (Rollatoren, Sitzhilfen u.v.m.).

Die an der ARGE beteiligten Verbände sind der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik, EGROH, CURA-SAN, rehaVital, Reha-Service-Ring und Sanitätshaus Aktuell. Unter der Bezeichnung "ARGE" hatten sie spätestens ab September 2021 gegenüber den Krankenkassen einheitliche Preisaufschläge für ihre Leistungen im Rahmen bestehender Versorgungsverträge gefordert und vielfach auch durchsetzen können.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: "Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand halten wir die Bildung einer Anbietergemeinschaft aus nahezu allen relevanten Hilfsmittel-Verbänden für unvereinbar mit dem Kartellverbot. Hilfsmittelanbieter haben rechtlich die Möglichkeit, im Rahmen von Verbänden gemeinsam mit den Krankenkassen zu verhandeln. Dadurch werden aber keine Anbietergemeinschaften unbegrenzter Größe und monopolähnlicher Marktabdeckung wie bei der ARGE legitimiert. Nur im Wettbewerb bilden sich marktgerechte Preise, die letztlich beide Seiten gegen Ausbeutung schützen."

Die ARGE der Hilfsmittel-Verbände repräsentiert etwa 80 Prozent der relevanten Leistungserbringer-Standorte der reha-technischen Hilfsmittel bundesweit. Damit tritt sie im Rahmen ihrer gemeinsamen Verhandlungen gegenüber den Krankenkassen als Quasi-Monopolistin auf. Zwar ist es Hilfsmittelanbietenden wie Sanitätshäusern, Orthopädietechnikern und anderen erlaubt, sich zu bundesweiten Verbänden zusammenzuschließen, um gemeinsam Verhandlungen mit Krankenkassen über die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Hilfsmitteln zu führen. Denn nur so können die Hilfsmittelanbieter eine flächendeckende Versorgung im ganzen Bundesgebiet gewährleisten. Die kartellrechtliche Grenze ist aus Sicht des Amtes jedenfalls dann aber überschritten, wenn alle maßgeblichen Verbände sich zusammenschließen oder in einem Ausmaß kooperieren, das den Wettbewerb fast vollständig zum Erliegen bringt.

Die Beteiligten an der ARGE hatten die gemeinsam geforderten Preisaufschläge gegenüber den Krankenkassen mit kostenrelevanten Auswirkungen der Corona-Pandemie begründet (gestiegene Fracht-, Liefer- und Rohstoffkosten). Diese Rechtfertigung greift aus Sicht des Amtes nicht durch, wenn die Aufschläge pauschal und ohne sachliche Differenzierung für praktisch sämtliche angebotenen Produkte und Leistungen gefordert werden. Die erhobenen Preiszuschläge waren daher nicht mehr auf Basis von realen Kostensteigerungen leistungsbezogen kalkuliert, sondern weitgehend von den Gegenleistungen der Beteiligten und ihrer Mitgliedsunternehmen abgekoppelt.

Neben den Vorschriften des GWB ist das Bundeskartellamt ebenso zur Durchsetzung des europäischen Kartellrechts befugt. Derzeit geht das Amt auch von einem Verstoß gegen diese Vorschriften aus, die ohnehin – auch vor Sonderregelungen im deutschen Sozialrecht – vorrangig zu beachten sind.

Die ausführlich begründete Abmahnung bildet im Verwaltungsverfahren des Amtes zunächst einen Zwischenschritt, der den Betroffenen die Möglichkeit einräumt, zur vorläufigen Einschätzung des Amtes im Einzelnen Stellung zu nehmen. Am Ende kann es zu einer Untersagung des kartellrechtswidrigen Verhaltens durch die Kartellbehörde, Verpflichtungszusagen der Betroffenen oder zur Einstellung des Verfahrens kommen.

Hintergrund: Verhältnis des Kartellrechts zum Sozialrecht
Die Anwendung der kartellrechtlichen Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auf die Kooperation der Beteiligten ist nach Auffassung des Bundeskartellamts nicht durch sozialrechtliche Sonderregelungen (hier: Sozialgesetzbuch Fünftes Buch "SGB V"), die das Kartellrecht verdrängen könnten, ausgeschlossen. Insbesondere greift der Anwendungsausschluss des § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V im vorliegenden Fall nicht ein. Denn dieser bezieht sich ausschließlich auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern und nicht auf Absprachen der Leistungserbringer untereinander im Vorfeld dieser Verhandlungen.

Nichts anderes ergibt sich auf Grundlage der Regelung des § 127 Abs. 1 SGB V, welche sich auf Arbeitsgemeinschaften oder Verbände bezieht, in denen Leistungserbringer im Bereich Hilfsmittel kooperieren. Sie rechtfertigt nicht die Kooperation aller Verbände untereinander. Auch hier sind die Grenzen des Kartellrechts einzuhalten.
(Bundeskartellamt: ra)

eingetragen: 24.01.23
Newsletterlauf: 03.04.23


Meldungen: Kartellrecht

Kartellrecht und Kartellvergehen

  • Alternative Carrier sind dünn gesät

    Das Bundeskartellamt hat den beabsichtigten Erwerb einer Minderheitsbeteiligung der Deutschen Lufthansa AG (Lufthansa) an der airBaltic Corporation AS (airBaltic) fusionskontrollrechtlich freigegeben. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, sagte: "Die geplante Beteiligung löst auf mehreren Flugverbindungen zwischen deutschen Flughäfen und dem Baltikum erhebliche wettbewerbliche Bedenken aus."

  • Wettbewerbsimpuls auf dem Briefmarkt

    Das Bundeskartellamt hat ein Kartellverwaltungsverfahren gegen Unternehmen der Deutschen Post AG (DPAG) sowie gegen Unternehmen der Max-Ventures-Gruppe aus dem Bereich Briefkonsolidierungsleistungen einstellen können, nachdem die Unternehmen untereinander bestehende gesellschaftsrechtliche Verflechtungen aufgelöst haben. Das Bundeskartellamt hatte das Verfahren im Juli 2023 eingeleitet, um dem Verdacht auf mögliche wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen den Unternehmen nachzugehen.

  • Zusammenschluss musste freigeben werden

    Das Bundeskartellamt hat die Übernahme aller Anteile an der Medienholding Süd durch die Neue Pressegesellschaft freigegeben. Die Medienholding Süd ist derzeit Teil der Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) und verlegt regionale Tageszeitungen in Baden-Württemberg, insbesondere die "Stuttgarter Zeitung" sowie den "Schwarzwälder Boten". Die Neue Pressegesellschaft verlegt ebenfalls regionale Tageszeitungen, in Baden-Württemberg insbesondere die "Südwest Presse". Beide Unternehmen verbreiten darüber hinaus Anzeigenblätter und sind an privaten Radiosendern beteiligt.

  • Kein Verfahren gegen die DFL

    Das Bundeskartellamt hat den Deutsche Fußball Liga e.V. (DFL) und die im Verfahren beigeladenen Vereine und Investoren über seine vorläufige kartellrechtliche Bewertung der 50+1-Regel und ihrer Anwendungspraxis informiert. Das Amt hat auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Sportkartellrecht keine grundlegenden Bedenken gegen die 50+1-Regel. Das Ziel der Vereinsprägung und der Mitgliederpartizipation ist geeignet, eine Ausnahme von kartellrechtlichen Verboten zu rechtfertigen.

  • Austauschbarkeit der Produkte

    Das Bundeskartellamt hat die geplante Übernahme des Automobil-Ethernet-Geschäfts der amerikanischen Marvell Technology, Inc. (Marvell) durch die Infineon Technologies AG (Infineon) freigegeben. Die Ethernet-Komponenten von Marvell werden vor allem für die Übertragung von Daten innerhalb des Netzwerks von softwaredefinierten Fahrzeugen (Software-defined Vehicles, SDVs) verwendet.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen