Versicherungsverträge werden geschlechtsunabhängig


Gerichtshof der Europäischen Union urteilt: Die Berücksichtigung des Geschlechts von Versicherten als Risikofaktor in Versicherungsverträgen ist eine Diskriminierung
Die Regel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen ist ab dem 21. Dezember 2012 anzuwenden


(07.03.11) - In einer wegweisenden Entscheidung verurteilt der Gerichtshof der Europäischen Union die Berücksichtigung des Geschlechts als Risikofaktor bei der Tarifierung von Versicherungsverträgen als Diskriminierung.

Die Richtlinie 2004/113/EG (1) untersagt jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. So verbietet sie grundsätzlich die Berücksichtigung des Geschlechts als Kriterium für die Berechnung von Prämien und Leistungen nach dem 21. Dezember 2007 geschlossener Versicherungsverträge. Allerdings sieht sie in Abweichung davon vor (2), dass die Mitgliedstaaten ab diesem Datum Ausnahmen von der Regel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen zulassen können, sofern sie sicherstellen können, dass die zugrunde liegenden versicherungsmathematischen und statistischen Daten, auf die sich ihre Berechnungen stützen, verlässlich sind, regelmäßig aktualisiert werden und der Öffentlichkeit zugänglich sind.

Diese Ausnahmen waren nur dann zulässig, wenn das nationale Recht die Regel der Geschlechtsneutralität bis dahin noch nicht vorsah. Fünf Jahre nach Umsetzung der Richtlinie, also zum 21. Dezember 2012, müssen die Mitgliedstaaten prüfen, inwieweit diese Ausnahmen noch gerechtfertigt sind, wobei die neuesten versicherungsmathematischen und statistischen Daten sowie der von der Kommission drei Jahre nach Umsetzung der Richtlinie vorgelegte Bericht zu berücksichtigen sind.

Die Association belge des consommateurs Test-Achats ASBL und zwei Privatpersonen erhoben vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof Klage auf Nichtigerklärung des belgischen Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie. Im Rahmen jener Klage hat das belgische Gericht dem Gerichtshof die Frage nach der Vereinbarkeit der in der Richtlinie enthaltenen Ausnahme mit höherrangigem Recht, nämlich dem im Unionsrecht verbürgten Grundsatz der Gleichheit von Frauen und Männern, vorgelegt.

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Union nach Art. 8 AEUV bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinwirkt, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Bei der schrittweisen Verwirklichung dieser Gleichheit ist es der Unionsgesetzgeber, der unter Berücksichtigung der Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Union den Zeitpunkt seines Tätigwerdens bestimmt.

Der Gerichtshof stellt klar, dass der Unionsgesetzgeber in diesem Sinn in der Richtlinie vorgesehen hat, dass die Unterschiede bei den Prämien und Leistungen, die sich aus der Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei ihrer Berechnung ergeben, bis spätestens zum 21. Dezember 2007 abgeschafft werden mussten. Da jedoch zur Zeit des Erlasses der Richtlinie die Anwendung geschlechtsspezifischer versicherungsmathematischer Faktoren im Bereich des Versicherungswesens weit verbreitet war, stand es dem Unionsgesetzgeber frei, die Anwendung der Regel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen stufenweise mit angemessenen Übergangszeiten umzusetzen.

Dazu weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie in Abweichung von der mit ihr eingeführten Grundregel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumte, vor dem 21. Dezember 2007 zu beschließen, proportionale Unterschiede für die Versicherten dann zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist.

Diese Möglichkeit wird fünf Jahre nach dem 21. Dezember 2007 überprüft, wobei einem Bericht der Kommission Rechnung zu tragen ist, doch dürfen die Mitgliedstaaten, die von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, den Versicherern gestatten, diese Ungleichbehandlung unbefristet zu praktizieren, da die Richtlinie keine Bestimmung über die Anwendungsdauer dieser Unterschiede enthält.

Damit besteht nach Ansicht des Gerichtshofs die Gefahr, dass die in der Richtlinie vorgesehene Ausnahme von der Gleichbehandlung von Frauen und Männern nach dem Unionsrecht unbefristet zulässig ist. Eine Bestimmung, die es den betreffenden Mitgliedstaaten gestattet, eine Ausnahme von der Regel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen unbefristet aufrechtzuerhalten, läuft jedoch der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwider und ist daher nach Ablauf einer angemessenen Übergangszeit als ungültig anzusehen.

Der Gerichtshof erklärt deshalb die Ausnahme von der Grundregel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen im Versicherungssektor für mit Wirkung vom 21. Dezember 2012 ungültig.

(1) Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. L 373, S. 37).
(2) Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113.
(Gerichtshof der Europäischen Union: ra)


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