Von Pierer soll finanziell geschröpft werden
Siemens-Skandal: Auf Heinrich von Pierer wartet ein Ordnungswidrigkeitenverfahren – Es droht ein Bußgeld in Millionenhöhe – Für Siemens ist der Weg nun frei, ihre Ex-Vorstände finanziell zur Rechenschaft zu ziehen
Kein Beschuldigter – nur noch ein Betroffener: Heinrich von Pierer soll nicht aktiv an Korruptionsvorgängen im Siemens-Konzern beteiligt gewesen sein – Er habe aber seine Aufsichtspflicht verletzt, so die Staatsanwaltschaft
Eine Anmerkung von Rainer Annuscheit
(13.05.08) - Von Alphonse Gabriel (Al) Capone (ital. Alfonso Capone, geb. am 17. Januar 1899 in Brooklyn, New York, NY, USA) weiß man, dass ihn die US-Ermittlungsbehörden nie für das verantwortlich machen konnten, was er war: ein potentieller Mörder und berüchtigter Schwerverbrecher. Capone, der in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts die Chicagoer Unterwelt beherrschte, hatte so ziemlich alles auf dem Kerbholz, was man einem Kriminellen in jenen Tagen so vorwerfen konnte: illegales Glücksspiel und Prostitution, organisierte Bandenkriminalität, illegalen Alkoholhandel während der Prohibitionszeit, Schutzgelderpressung und Geldverleih gegen Wucherzinsen, eigenhändiger Mord und Auftragsmorde – das ganze garniert mit Einflussnahme auf Gesellschaft und Politik mittels Korruption. Sogar die Geldwäsche wurde quasi von Al Capone erfunden: Er soll der erste gewesen sein, der seine illegalen Einnahmen in legale Waschsalons investierte, um – im wahrsten Sinne des Wortes – dreckiges Geld rein zu waschen. Damit kreierte er ein Erfolgsmodell, mit dem sich heute noch Staatsanwaltschaften und Steuerbehörden auf der ganzen Welt rumschlagen müssen.
Letztlich war es eine Lappalie, die Al Capone stolpern ließ. Die "Unbestechlichen" um Eliot Ness und Frank Basile trieben Capone konsequent in die Enge, so dass die amerikanische Steuerbehörde IRS zu einem für Capone unerwarteten Schlag ausholen konnte: Am 5. Juni 1931 wurde Capone wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 200.000 Dollar angeklagt – eine Summe, die von Beobachtern als viel zu gering eingestuft wurde. Doch fiel die Strafe letztendlich härter aus, als Capone es erwartet hatte: Wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche wurde der Chicagoer Gangster am 24. Oktober 1931 zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Dazu kamen 50.000 Dollar Strafe und 8000 Dollar Gerichtskosten. Der US-Pragmatismus hatte gesiegt: Al Capone sollte "weggebuchtet" werden – auf welche Weise auch immer. Dass es nicht die Schwerverbrechen war, denen er bezichtigt werden konnte, spielte zum Schluss keine Rolle mehr.
Heinrich von Pierer, Ex-Siemens-Vorstandsvorsitzender und Ex-Aufsichtsrat der Siemens AG, wird es wohl erspart bleiben, wegen Korruption und Schwarzer Kassen angeklagt zu werden. Zu dünn ist augenscheinlich die Beweislage. Auch die Anschuldigungen zweier ehemaliger Siemens-Mitarbeiter, von Pierer habe sie aufgefordert, Schmiergeldzahlungen in Argentinien zu leisten, scheinen entweder haltlos oder nicht nachweisbar. Der Offizierssohn und Enkel eines geadelten österreichischen Generalmajors, Heinrich von Pierer bröselte der Münchner Staatsanwaltschaft offensichtlich durchs strafrechtliche Sieb.
Heinrich von Pierer vor der öffentlichen Demütigung
Dennoch wird die Siemens-Affäre an Heinrich von Pierer nicht spurlos vorbeigehen. Die "Unbestechlichen" der Staatsanwaltschaft München I, Oberstaatsanwalt Anton E. Winkler und der Leitende Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld, handeln offensichtlich ganz pragmatisch nach dem Motto, "Besser den Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach": Sie wollen gegen Heinrich von Pierer (und gegen weitere ehemalige Mitglieder des Siemens-Vorstandes und -Aufsichtsrates – Namen wurden hier nicht genannt) ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten. Von Pierer soll zahlen, Verantwortung übernehmen für etwas, was er nicht verantwortet haben will. Letztendlich läuft dies auf eine öffentliche Demütigung hinaus.
Rechtssystematisch gesehen gehört das "Gesetz über Ordnungswidrigkeiten" (OWiG) zum Strafrecht. Da den Ordnungswidrigkeiten aber der sogenannte "ethische Unwert" abgeht, wird ein Fehlverhalten im Gegensatz zu Straftaten milder bestraft, nämlich mit einem Bußgeld und nicht mit Gefängnis.
Die wohl bekanntesten Ordnungswidrigkeiten ergeben sich aus der Straßenverkehrsordnung (StVO). Aber auch zahlreiche andere Gesetze wie zum Beispiel das Außenwirtschaftsgesetz ahnden Verstöße als Ordnungswidrigkeiten. Die mit dem Ordnungswidrigkeitsgesetz einhergehenden Bußgeldverfahren können Bußgelder in gravierender Höhe bescheren: Einige Millionen Euro und zusätzliche Sanktionen sind als Bestrafung möglich. Personen wie Heinrich von Pierer, gegen die sich ein Ordnungswidrigkeitsverfahren richtet, werden als Betroffene bezeichnet (im Gegensatz zum Strafverfahren, das Heinrich von Pierer als Beschuldigten geführt hätte).
Von Pierer hat also Glück gehabt. Zumindest mehr Glück als seine Siemens-Vorstandskollegen Ex-Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger, Thomas Ganswindt und Uriel Sharief, die bei der Staatsanwaltschaft noch als Beschuldigte geführt werden.
Obwohl (oder vielleicht auch weil) sich laut Staatsanwaltschaft München "keine zureichenden Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten" ergeben haben, wird gegen Heinrich von Pierer nun ein Ordnungswidrigkeitsverfahren "wegen Verletzung der Aufsichtspflicht" eingeleitet. Angeblich habe er nicht "angemessen" reagiert.
Angemessen heißt wohl in diesem Fall, dass von Pierer als Siemens-Vorstandschef (das war er von 1992 bis Anfang 2005) und als Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens AG (das war er bis April 2007) "zur Verhinderung einer Begehung von Straftaten alle durchführbaren und zumutbaren organisatorischen Maßnahmen" hätte ergreifen müssen, um die im Unternehmen begangenen Straftaten zu verhindern.
Von Pierer hat es angeblich an Aufsicht fehlen lassen, und das soll ihm nun zum Verhängnis werden. Trotz zahlreicher Hinweise auf ein Schmiergeldsystem habe von Pierer keine aktive Aufklärung betrieben, geschweige denn die im Unternehmen installierten Anti-Korruptionssysteme reformieren lassen. Auch die US-Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton hat mit ihren Ermittlungen deutlich werden lassen, dass der Vorstand der Siemens AG schon frühzeitig Kenntnis von der im Konzern gängige Schmiergeldpraxis gehabt haben muss, ohne darauf angemessen zu reagieren.
Mr. Siemens selbst hatte stets jede Form der Mitverantwortung weit von sich gewiesen. Auch hatte er stets bestritten, von einem Korruptionssystem bei Siemens gewusst zu haben. Geglaubt hat ihm das niemand: Weder Siemens-Verantwortliche noch die Öffentlichkeit.
Die Bekämpfung der Auslandskorruption (d.h. die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr) wurde am 10. September 1998 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat am 15. Februar 1999 in Deutschland in Kraft. Von 1999 bis 2006 beliefen sich die korruptionsverdächtigen Zahlungen bei Siemens auf ca. 1,3 Milliarden Euro. Nimmt man dies als Maßstab, so erkennt man, dass Siemens im Schnitt zwischen 150 und 200 Millionen Euro pro Jahr in Schmiergeldzahlungen "investierte" – und dies sicherlich auch schon vor 1999. Gerade Siemens war also ein Unternehmen, das die Klaviatur der Auslandskorruption (wie auch der Kartellabsprachen) virtuos zu spielen vermochte und zwar deshalb, weil es eine lange Korruptionshistorie im Unternehmen gab – eine Korruptionshistorie, die mit Sicherheit jedem maßgeblich Verantwortlichen bekannt gewesen sein muss.
Wurde nach 1999 im die erlauchten Vorstandskreis wirklich kein einziges Mal die delikate Frage gestellt: "Bestechen wir noch immer oder haben wir inzwischen unsere Korruptionsmaschinerie auf 'Stopp' gestellt?"
Seit 1969 war von Pierer bei der Siemens AG beschäftigt, 1989 wurde er Mitglied des Vorstandes des Unternehmens. Rund 15 Jahre verkörperte er Siemens. Und dennoch tat und tut er so, als ob ein Korruptionssystem in seinem Unternehmen nicht existiert bzw. er nichts davon bemerkt habe. Wirkt er glaubwürdig?
Abrechnung mit dem Übervater "Heinrich von Pierer"
Im "Faust" lässt Goethe sein Gretchen den berühmten Satz sagen: "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles!" – was nichts anderes heißt: Letztendlich dreht sich alles nur ums Geld. Offensichtlich denkt auch die Staatsanwaltschaft München so.
Heinrich von Pierer hat mit seiner konsequenten Nicht-hören-, Nicht-sehen-, Nicht-sprechen-Haltung zwar einen Strafbefehl abwehren können, dafür trifft ihn wahrscheinlich die volle Wucht der Regressansprüche. In Juristenkreisen gilt das Ausweichen auf das Feld Ordnungswidrigkeit oftmals "Kompromiss", wenn's nicht anders geht, wenn man den Verdächtigen nicht anders packen kann.
Der neue Siemens-Verantwortliche für die Korruptionsbekämpfung, Andreas Pohlmann, hatte schon vor Wochen erklärt. "Nach meiner Einschätzung waren auch frühere Vorstände entweder aktiv initiativ am Korruptionsskandal beteiligt. Oder sie haben die Sache übersehen, dann liegt eine Aufsichtsverletzung auf der Hand." (Zitat aus Münchner Merkur, 22.04.08).
Dieser Sichtweise hat sich nun die Oberstaatsanwaltschaft München I angeschlossen. Für den Millionär von Pierer bedeutet dies, salopp gesagt, dass er nun auf den Kopf gestellt und so lange geschüttelt wird, bis kein Euro mehr in seiner Tasche ist.
Im Ordnungswidrigkeitsverfahren wird man detailliert von Pierers Rolle im Korruptionsskandal analysieren, um schließlich zu einem Bußgeldentscheid zu gelangen. Da dieser von seiner Höhe her stets einkommensabhängig bemessen wird, sind bereits Summen von mehr als einer Million Euro im Gespräch.
Für die Siemens AG bedeutet eine Verurteilung von Heinrich von Pierer, dass der Weg frei ist, den Ex-Chef erfolgreich auf Schadensersatz verklagen zu können. Auch hier droht dem Ex-Mr.-Siemens finanziell gesehen die Höchststrafe.
Dies schon allein deshalb, weil die Verhandlungen, die Siemens mit der US-Börsenaufsicht SEC anstrebt, erst dann so richtig in Gang kommen, wenn Siemens mit seinen Ex-Vorständen "klar Schiff" gemacht hat – und zwar deutlich.
(Siemens: ra)
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