Missbräuchlichkeit von Gaspreiserhöhungen
Bundeskartellamt leitet Missbrauchsverfahren gegen rund 35 Unternehmen wegen überhöhter Gaspreise ein
Wettbewerbsintensität im Bereich der Belieferung von Haushalts- und Gewerbekunden mit Gas ist immer noch erschreckend gering
(06.03.08) - Das Bundeskartellamt hat auf Basis des neuen § 29 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen = deutsches Kartellgesetz, siehe auch "Hintergrund") Missbrauchsverfahren gegen rund 35 Gasversorger wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Gaspreise für Haushalts- und Gewerbekunden eingeleitet. Eine vorangegangene bundesweite Untersuchung der Gaspreise aller in diesem Geschäftsfeld etablierten Gasversorger hat gezeigt, dass teilweise erhebliche Abweichungen von 25 Prozent bis 45 Prozent und mehr zwischen den Unternehmen bestehen. Betroffen sind Unternehmen aus allen Regionen Deutschlands, städtische und ländliche Versorger, eigenständige Stadtwerke und Versorger, die Beteiligungsunternehmen der vier großen Verbundunternehmen sind.
Für Kartellamtspräsident Dr. Bernhard Heitzer lässt das Untersuchungsergebnis nur einen Schluss zu, nämlich dass die Wettbewerbsintensität im Bereich der Belieferung von Haushalts- und Gewerbekunden mit Gas immer noch erschreckend gering ist: "Nach derzeitigen Erkenntnissen erheben eine Reihe von Unternehmen Gaspreise in einer Höhe, die sie bei funktionierendem Wettbewerb nicht fordern könnten. Selbst dort, wo die Netzentgelte niedrig sind, wird dieser Kostenvorteil oftmals nicht an die Kunden weitergegeben, sondern offensichtlich durch eine Erhöhung auf einer anderen Ebene der Wertschöpfungskette wieder kompensiert. Die Welle von Gaspreiserhöhungen werden wir auf ihre Missbräuchlichkeit hin überprüfen."
Das Bundeskartellamt hat bei dem Vergleich derjenigen Gaspreise, die die Endverbraucher zahlen, die genehmigten Netzentgelte sowie die Steuern und Konzessionsabgaben abgezogen. Dies eröffnet eine wesentlich präzisere Beurteilungsgrundlage und wird voraussichtlich kaum Raum für die betroffenen Unternehmen lassen, sich durch Besonderheiten in ihrem Liefergebiet zu rechtfertigen. Steuern und Abgaben machen durchschnittlich einen Anteil von 29 Prozent an dem Bruttopreis aus, die von den Regulierungsbehörden geprüften und genehmigten Netzentgelte 16 Prozent. Die vom Bundeskartellamt untersuchten Preisbestandteile machen daher gut 55 Prozent des Brutto-Gaspreises aus, den der Bürger auf seiner Rechnung sieht und die auf den bekannten Internetportalen verglichen werden.
Von den Verfahren konkret betroffen ist der Markt für die Belieferung von Standardlastprofilkunden, d.h. nicht leistungsgemessenen Haushalts- und Gewerbekunden, mit Erdgas. Der Erdgasabsatz in Deutschland an Haushalt und Gewerbe betrug im Jahr 2006 ca. 480 Mrd. kWh; die Gasversorger erzielten mit der Belieferung von Haushalts- und Gewerbekunden einen Umsatz in Höhe 17,28 Mrd. Euro. Die Missbrauchsverfahren gegen die betroffenen Unternehmen betreffen mit ca. 4 Mio. Kunden und einem Absatzvolumen von geschätzt ca. 100 Mrd. kWh knapp 20 Prozent des Marktes.
Von den ca. 770 Gasversorgungsunternehmen in Deutschland fallen nur knapp 30 Unternehmen mit bundeslandübergreifender Grundversorgung originär in die Zuständigkeit des Bundeskartellamtes, die übrigen in die Zuständigkeit der jeweiligen Landeskartellbehörde. Einige Landeskartellbehörden haben bereits Verfahren eingeleitet. Zudem haben viele Landeskartellbehörden, auf Antrag des Bundeskartellamtes einige Gasversorger mit hohen Gaspreisen aus ihrem Zuständigkeitsbereich an das Bundeskartellamt abgegeben bzw. beabsichtigen, dies zu tun.
Weitere Verfahren werden daher möglicherweise folgen.
Hintergrund
Verschärfung der Missbrauchsaufsicht im Energiesektor
Die den Energienetzen vor- und nachgelagerten Märkte haben sich seit der mehr als acht Jahre zurückliegenden rechtlichen Marktöffnung noch nicht zu funktionierenden Wettbewerbsmärkten entwickelt. Die Energiemärkte sind durch eine starke vertikale Integration und zunehmende Konzentration geprägt. Die Energiepreise sind auf ein volkswirtschaftlich bedenkliches Niveau gestiegen, das mit der Entwicklung der Primärenergiekosten nicht mehr begründbar erscheint und industrielle Abnehmer sowie Endverbraucher über Gebühr belastet. Insbesondere mit Blick auf die nicht regulierten Märkte sollen deshalb die Eingriffsmöglichkeiten nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gegenüber marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen verbessert werden.
Ziel des § 29 ist eine Schärfung des kartellrechtlichen Instrumentariums zur Bekämpfung missbräuchlich überhöhter Energiepreise mittels einer auf den Energiesektor zugeschnittenen Ausprägung der Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB. Mit einer zeitlich befristeten Regelung soll den spezifischen Problemen der Missbrauchsaufsicht auf den betroffenen Märkten begegnet werden. Den Kartellbehörden wird dadurch die Durchsetzung des in § 19 GWB festgelegten Missbrauchsverbots erleichtert. Der Einstieg in eine Preisregulierung bisher nicht regulierter Märkte ist nicht beabsichtigt. Angesichts des in § 111 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) geregelten Vorrangs der Preisregulierung für Netze entfaltet § 29 Wirkung für die vor- und nachgelagerten Energiemärkte. Erleichterte Missbrauchsverfahren sind erforderlich, solange sich der Wettbewerb in der Energiewirtschaft noch nicht voll entfaltet hat.
(Quelle: bmwi.de)
(Bundeskartellamt: ra)
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