Grenzüberschreitender Handel
EU-Kommission veröffentlicht Durchführbarkeitsstudie der Sachverständigengruppe zum europäischen Vertragsrecht
Die aktuellen Unterschiede im Vertragsrecht innerhalb der EU verursachen Mehrkosten, erhöhen die Rechtsunsicherheit für Unternehmen und schwächen das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt
(10.05.11) - Eine von der EU-Kommission eingesetzte Sachverständigengruppe hat eine Durchführbarkeitsstudie über ein künftiges europäisches Vertragsrecht vorgelegt. Im April 2010 hatte die Kommission die mit Vertretern der Rechtsberufe und der Rechtswissenschaft aus der gesamten EU besetzte Gruppe einberufen, um Möglichkeiten zur Verbesserung des Vertragsrechts in der EU zu erörtern.
An den monatlichen Tagungen der Gruppe, die in ihre Arbeiten regelmäßig auch Vertreter der Wirtschaft (darunter auch KMU-Vertreter), Verbraucherverbände und Rechtsanwender einbezog, nahmen ebenfalls Beobachter aus dem Europäischen Parlament und dem Rat teil. Die Studie befasst sich mit den wichtigsten praktischen Fragen des Vertragsrechts, wie der Rechtslage bei fehlerhaften Produkten und Regeln über unlautere Vertragsklauseln. Bis 1. Juli 2011 haben Interessierte nun die Möglichkeit, zu den einzelnen Artikeln Stellung zu nehmen. Die Kommission wird diese Stellungnahmen sowie die Ergebnisse der im Januar 2011 abgeschlossenen Konsultation der Öffentlichkeit bei ihrem weiteren Vorgehen berücksichtigen. Als Nächstes wird die Kommission prüfen, inwieweit die Studie als Grundlage für eine Initiative zum europäischen Vertragsrecht genutzt werden kann.
"Mein herzlicher Dank gilt den Mitgliedern der Sachverständigengruppe, die die über 10jährigen intensiven Vorarbeiten zum europäischen Vertragsrecht in einer Durchführbarkeitsstudie zusammengefasst, vereinfacht, aktualisiert und konkretisiert haben. Es stimmt optimistisch, dass Vertragsrechtsexperten aus sehr verschiedenen Rechtstraditionen und mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund zu einem Konsens gelangen konnten", so Viviane Reding, die für Justiz zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission.
"Die Arbeiten der Sachverständigengruppe stellen zweifellos eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem EU-Rechtsakt dar, für den sich auch der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments im vergangenen Monat in einer Abstimmung ausgesprochen hat. Mit dieser Studie verfügen die EU-Organe über einen soliden Bezugsrahmen für eine künftige Initiative zum Vertragsrecht. Gemeinsam mit dem Europäischen Parlament, der anstehenden polnischen Ratspräsidentschaft und den Betroffenen werden wir erörtern, inwieweit dieser Bezugsrahmen diesen Herbst in eine politische Initiative zum Vertragsrecht münden kann. Mein Ziel ist es, dass KMU und Verbraucher von einem benutzerfreundlichen Vertragsrecht profitieren können, insbesondere wenn sie im Binnenmarkt grenzüberschreitende Geschäfte tätigen."
Hintergrund
Ohne Verträge können Unternehmen keine Waren verkaufen und Verbraucher keine Waren kaufen. Durch einen Vertrag wird eine Vereinbarung zwischen Parteien förmlich fixiert. Ein Vertrag kann über ein breites Spektrum an Leistungen geschlossen werden, z. B. über den Kauf von Waren oder die Erbringung zugehöriger Leistungen wie Reparatur oder Wartung.
Nach der heutigen Rechtslage müssen Unternehmen und Verbraucher bei grenzüberschreitenden Geschäften im Binnenmarkt in Kauf nehmen, dass sich das Vertragsrecht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheidet. Ganz anders ist die Lage in den USA, wo ein Händler sein Produkt in 50 Staaten nach einheitlichen Regeln vertreiben kann, obwohl von New York bis Kalifornien unterschiedliche Gesetze gelten.
Die aktuellen Unterschiede im Vertragsrecht innerhalb der EU verursachen Mehrkosten, erhöhen die Rechtsunsicherheit für Unternehmen und schwächen das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt. Gerade für KMU, d.h. für 99 Prozent aller europäischen Unternehmen, machen es die Transaktionskosten (z.B. für die Anpassung der Vertragsbedingungen und der Vertriebspolitik an bis zu 27 Rechtssysteme) und die mit dem Umgang mit ausländischem Vertragsrecht verbundene Rechtsunsicherheit besonders schwer, im Binnenmarkt zu expandieren.
Ein kleines britisches Unternehmen mit sechs Beschäftigten und einem durchschnittlichen Jahresumsatz von 150.000 EUR müsste beispielsweise, wenn es ein erfolgreiches Produkt in ganz Europa verkaufen wollte, allein für die Konsultation von Experten für das Vertragsrecht der übrigen 26 EU-Länder Transaktionskosten von rund 275.000 EUR aufbringen.
Auch die Verbraucher zögern, die Vorteile des Binnenmarkts in Anspruch zu nehmen, weil sie sich über ihre Rechte nicht sicher sind. Eine finnische Verbraucherin kauft ein paar Schuhe ihrer Lieblingsmarke möglicherweise lieber weiterhin für 150 EUR in Finnland, obwohl es bei einem französischen Online-Händler für 110 EUR (ohne Versandkosten) angeboten wird, weil sie nicht weiß, ob sie im Falle eines Online-Kaufs Anspruch auf ein Ersatzpaar hat, wenn sich beispielsweise beim ersten nach einer Woche die Sohlen als schadhaft erweisen.
Die Kommission ist im Begriff, auf der Grundlage der Strategie Europa 2020 Binnenmarkthindernisse zu beseitigen, um die wirtschaftliche Erholung voranzubringen. Dazu zählen auch Schritte zur Gestaltung eines europäischen Vertragsrechts.
Im Juli 2010 hat die Kommission in einem Grünbuch mehrere Optionen dargelegt, wie das Vertragsrecht kohärenter gestaltet werden kann. In der öffentlichen Konsultation zu diesem Grünbuch, die bis zum 31. Januar 2011 lief, erhielt die Kommission 320 Stellungnahmen.
Am 12. April 2011 hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments einen Initiativbericht von Diana Wallis angenommen, in dem ein fakultatives europäisches Vertragsrecht befürwortet wird. Nach Ansicht des Ausschusses sollte dieses fakultative Instrument um einen Bezugsrahmen ergänzt werden, um Kohärenz und Qualität der Gesetzgebung zum europäischen Vertragsrecht zu gewährleisten.
Weitere Informationen
Durchführbarkeitsstudie der Sachverständigengruppe
http://ec.europa.eu/justice/policies/consumer/policies_consumer_intro_en.htm
(Europäische Kommission: ra)
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