Grundlage der EU-Fusionskontrollvorschriften
Fusionskontrolle: Europäische Kommission wirft Merck und Sigma-Aldrich, General Electric und Canon Verstoß gegen EU-Vorschriften für Fusionskontrollverfahren vor
Die laufenden Untersuchungen sind auf die Prüfung von Verstößen gegen die Verfahrensvorschriften im Bereich der EU-Fusionskontrolle beschränkt und berühren nicht die Gültigkeit der von der Kommission zur Genehmigung der drei Zusammenschlüsse erlassenen Beschlüsse
Die Europäische Kommission hat an die Unternehmen Merck und Sigma-Aldrich, General Electric und Canon drei separate Mitteilungen der Beschwerdepunkte gerichtet, in denen sie den Unternehmen vorwirft, gegen die EU-Fusionskontrollvorschriften verstoßen zu haben: General Electric, und Merck und Sigma-Aldrich, indem sie unrichtige bzw. irreführende Angaben gemacht haben, und Canon, indem es einen Zusammenschluss vor dessen Anmeldung und Genehmigung vollzogen hat.
Die laufenden Untersuchungen sind auf die Prüfung von Verstößen gegen die Verfahrensvorschriften im Bereich der EU-Fusionskontrolle beschränkt und berühren nicht die Gültigkeit der von der Kommission zur Genehmigung der drei Zusammenschlüsse erlassenen Beschlüsse.
Die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager erklärte dazu: "Wir sind auf die Mitarbeit der Unternehmen angewiesen, um zugunsten von Unternehmen und Verbrauchern eine rasche und vorhersehbare Fusionskontrolle zu gewährleisten. Wir können unsere Aufgabe aber nur dann richtig erfüllen, wenn wir uns auf die Kooperation der betreffenden Unternehmen verlassen können. Die Unternehmen müssen die Genehmigung der Kommission einholen, bevor sie ihre Vorhaben umsetzen, und sie müssen richtige und vollständige Angaben machen."
Die EU-Fusionskontrolle gewährleistet eine rasche und effiziente zentrale Abwicklung der Zusammenschlussvorhaben der Unternehmen. Die große Mehrheit (über 90 Prozent) aller bei der Kommission angemeldeten Zusammenschlüsse wird in einem 25-tägigen Vorprüfverfahren ("Phase I") genehmigt. Mehr als zwei Drittel dieser Zusammenschlüsse werden im Wege eines vereinfachten Verfahrens freigegeben.
Damit die Kommission in der Lage ist, innerhalb der sehr knappen Fristen sachgerechte Beschlüsse zu erlassen, gründet sich das EU-Fusionskontrollsystem auf klare Verfahrensvorschriften, die von den Unternehmen in vollem Umfang eingehalten werden müssen.
Auf der Grundlage der EU-Fusionskontrollvorschriften müssen Unternehmen von ihnen geplante Zusammenschlüsse von unionsweiter Dimension im Voraus bei der Kommission zur Genehmigung anmelden und dürfen sie vor der Freigabe durch die Kommission nicht vollziehen ("Durchführungsverbot"). Das Durchführungsverbot soll verhindern, dass Zusammenschlüsse vor Abschluss der Untersuchung durch die Kommission negative Auswirkungen auf den Markt haben, die unter Umständen irreparabel sein können. Wenn Unternehmen Zusammenschlüsse vorzeitig vollziehen und damit gegen die einschlägigen EU-Verfahrensvorschriften verstoßen, ist dies nach Ansicht der Kommission eine sehr schwere Zuwiderhandlung, denn sie untergräbt das wirksame Funktionieren der EU-Fusionskontrolle.
Die Kommission kann Fusionen und Übernahmen nur dann rasch und wirksam prüfen, wenn die beteiligten Unternehmen vollständige und richtige Angaben machen. Angesichts der knappen Fristen einer Fusionskontrolluntersuchung muss die Kommission sich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben verlassen können.
Die drei Mitteilungen der Beschwerdepunkte, die die Kommission an Merck und Sigma-Aldrich, an General Electric und an Canon gerichtet hat, beziehen sich auf drei separate Fälle, bei denen es um Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften der EU im Bereich der Fusionskontrolle geht.
Merck/Sigma-Aldrich
Die Kommission hat das deutsche Unternehmen Merck KGaA und Sigma-Aldrich über ihre vorläufige Schlussfolgerung informiert, dass die Unternehmen im Rahmen der Übernahme von Sigma-Aldrich durch Merck unrichtige bzw. irreführende Informationen übermittelt haben. Die Kommission hat die Anmeldung des Zusammenschlusses am 21. April 2015 erhalten und am 15. Juni 2015 unter der Bedingung genehmigt, dass die beteiligten Unternehmen bestimmte Vermögenswerte von Sigma-Aldrich veräußern, um wettbewerbsrechtliche Bedenken hinsichtlich bestimmter Laborchemikalien auszuräumen.
Die Kommission vertritt die vorläufige Ansicht, dass Merck und Sigma-Aldrich der Kommission wichtige Informationen über ein Innovationsprojekt vorenthalten haben, das für bestimmte, für die Analyse der Kommission wesentliche Laborchemikalien relevant ist.
Wäre die Kommission ordnungsgemäß über dieses Projekt informiert worden, so hätte es in die Abhilfemaßnahmen einbezogen werden müssen, denn es war eng mit dem zu veräußernden Geschäft verbunden und hätte eine erhebliche Steigerung des damit erzielten Umsatzes bewirken können. Durch die Nichteinbeziehung des Projekts wurden die Tragfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit des veräußerten Geschäfts beeinträchtigt.
Merck hat mittlerweile zugesagt, Honeywell, dem Käufer des veräußerten Geschäfts, eine Lizenz für die einschlägige Technologie einzuräumen. Infolgedessen verfügt Honeywell nun über die Technologie, die es mit dem veräußerten Geschäft hätte erhalten sollen. Dies geschah jedoch mit einer Verzögerung von nahezu einem Jahr und nur deshalb, weil die Kommission im Nachhinein von einem Dritten auf das Innovationsprojekt aufmerksam gemacht worden war.
Sollte die Kommission zu dem Schluss gelangen, dass Merck und Sigma-Aldrich vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige oder irreführende Angaben gemacht haben, könnte sie ihnen eine Geldbuße von bis zu 1 Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes auferlegen.
General Electric/LM Wind
Die Kommission hat das US-amerikanische Unternehmen General Electric (GE) über ihre vorläufige Schlussfolgerung informiert, dass das Unternehmen im Rahmen der Untersuchung der von GE geplanten Übernahme von LM Wind durch die Kommission unrichtige bzw. irreführende Angaben gemacht hatte. Am 11. Januar 2017 wurde das Vorhaben erstmals bei der Kommission zur Genehmigung angemeldet. In der heutigen Mitteilung der Beschwerdepunkte legt die Kommission ihren vorläufigen Standpunkt dar, dass GE in seiner Anmeldung unrichtige bzw. irreführende Angaben gemacht hatte.
Bei der Untersuchung der geplanten Übernahme von LM Wind durch GE musste die Kommission die Wettbewerbssituation und die Position von GE auf dem Markt für Onshore- und Offshore-Windturbinen sorgfältig prüfen. GE hat es unterlassen, die Kommission über seine Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten und über die Entwicklung eines bestimmten Produkts zu informieren.
Das Fehlen der entsprechenden Angaben hat sich nicht nur auf die Beurteilung des Erwerbs von LM Wind durch GE ausgewirkt, sondern auch auf die Prüfung der Übernahme von Gamesa durch Siemens. Bei letzterem handelte es sich um einen separaten Zusammenschluss auf dem Windturbinenmarkt, der von der Kommission zu derselben Zeit geprüft wurde. Die Angaben waren in beiden Fällen erforderlich, um die künftige Position von GE und die Wettbewerbssituation auf den Märkten für Windturbinen richtig einschätzen zu können.
Am 2. Februar 2017 zog GE die Anmeldung seiner Übernahme von LM Wind wieder zurück. Am 13. Februar 2017 meldete GE dasselbe Vorhaben erneut an. Diese zweite Anmeldung umfasste die Angaben zu den geplanten Entwicklungen, die in der ursprünglichen Anmeldung nicht enthalten waren. Dadurch konnte sich die Kommission ein umfassendes Bild vom Windturbinenmarkt machen.
Die Kommission genehmigte den erneut angemeldeten Zusammenschluss von GE und LM Wind am 20. März 2017 und den Zusammenschluss von Siemens und Gamesa am 13. März 2017. In beiden Fällen hatte sie die beteiligten Unternehmen nicht zur Unterbreitung von Verpflichtungsangeboten aufgefordert.
Sollte die Kommission zu dem Schluss gelangen, dass GE vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige oder irreführende Angaben gemacht hat, indem es die Kommission nicht über alle relevanten Produktentwicklungen informierte, könnte sie GE eine Geldbuße von bis zu 1 Prozent seines weltweiten Jahresumsatzes auferlegen.
Canon/Toshiba Medical Systems Corporation
Die Kommission hat das japanische Unternehmen Canon Inc. über ihre vorläufige Ansicht informiert, dass das Unternehmen gegen die EU-Fusionskontrollverordnung verstoßen hat, indem es die Übernahme der Toshiba Medical Systems Corporation vollzogen hat, ohne nach vorheriger Anmeldung die Genehmigung durch die Kommission erhalten zu haben. Die Kommission erhielt die Anmeldung des Zusammenschlusses am 12. August 2016 und genehmigte ihn am 19. September 2016.
Die Kommission vertritt die vorläufige Auffassung, dass Canon die Übernahme unter Einbeziehung eines zwischengeschalteten Käufers in zwei Schritten vollzog, insbesondere, um Toshiba Medical Systems vor der Erteilung der einschlägigen wettbewerbsrechtlichen Genehmigungen übernehmen zu können.
In einem ersten Schritt erwarb ein zwischengeschalteter Käufer 95 Prozent des Aktienkapitals von Toshiba Medical Systems für 800 EUR, während Canon 5,28 Mrd. EUR für die verbleibenden 5 Prozent und für Aktienoptionen auf den Anteil des zwischengeschalteten Käufers entrichtete. Dieser erste Schritt wurde vor einer Anmeldung bzw. Genehmigung durch die Kommission vollzogen. In einem zweiten Schritt wurden die Aktienoptionen nach der Genehmigung des Zusammenschlusses durch die Kommission von Canon ausgeübt, sodass Canon 100 Prozent der Aktien von Toshiba Medical Systems erwarb.
Sollte die Kommission zu dem Schluss gelangen, dass Canon den Zusammenschluss tatsächlich vor seiner Anmeldung bzw. vor dem Erlass des einschlägigen Genehmigungsbeschlusses vollzogen hat, könnte sie gegen Canon eine Geldbuße von bis zu 10 Prozent seines weltweiten Jahresumsatzes verhängen.
Hintergrund: Statistische Angaben zur Fusionskontrolle
Der weitaus größte Teil der angemeldeten Zusammenschlüsse ist wettbewerbsrechtlich unbedenklich und wird nach einer Routineprüfung genehmigt. Nach der Anmeldung muss die Kommission in der Regel innerhalb von 25 Arbeitstagen entscheiden, ob sie den Zusammenschluss im Vorprüfverfahren (Phase I) genehmigt oder ein eingehendes Prüfverfahren (Phase II) einleitet. In Fällen, in denen die beteiligten Unternehmen Verpflichtungszusagen machen, verlängert sich diese Frist auf 35 Arbeitstage.
Seit dem Jahr 2010 hat die Kommission im Durchschnitt mehr als 300 Anmeldungen pro Jahr bearbeitet. Über 95 Prozent dieser Fälle werden im Vorprüfverfahren genehmigt.
Andere Fusionskontrollsachen
Im Mai 2017 erlegte die Kommission Facebook eine Geldbuße in Höhe von 110 Mio. EUR auf, weil das Unternehmen im Rahmen der von der Kommission im Jahr 2014 auf der Grundlage der EU-Fusionskontrollverordnung durchgeführten Untersuchung der Übernahme von WhatsApp unrichtige bzw. irreführende Angaben gemacht hatte. Dieser Beschluss hatte keine Auswirkungen auf die im Oktober 2014 erfolgte Genehmigung des Zusammenschlusses nach der EU-Fusionskontrollverordnung, denn der Genehmigungsbeschluss beruhte auf einer Reihe von Elementen, die über die mit den unrichtigen oder fehlenden Angaben verbundenen hinausgingen.
Im Mai 2017 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an Altice, in der sie dem Unternehmen vorwarf, gegen die EU-Fusionskontrollverordnung verstoßen zu haben, indem es die Übernahme des Telekommunikationsbetreibers PT Portugal vollzogen hatte, ohne sie vorher angemeldet bzw. ohne die vorherige Genehmigung durch die Kommission erhalten zu haben. Diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen.
Verfahrensrechtliche Hintergrundinformationen
Mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte setzt die Kommission die Beteiligten auf schriftlichem Wege förmlich über ihre wettbewerbsrechtlichen Bedenken in Kenntnis. Die Unternehmen können dann die Akten der Kommission einsehen, schriftlich antworten und eine mündliche Anhörung beantragen, in der sie gegenüber Vertretern der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden zu der jeweiligen Sache Stellung nehmen können.
Für den Abschluss von Untersuchungen gibt es keine zwingende Frist. Ihre Dauer hängt unter anderem von der Komplexität des jeweiligen Falles, der Kooperationsbereitschaft der betreffenden Unternehmen und der Ausübung des Verteidigungsrechts ab.
Die Pflicht, Zusammenschlüsse vor deren Durchführung bei der Kommission anzumelden, ist in Artikel 4 Absatz 1 der EU-Fusionskontrollverordnung verankert. Das Verbot, einen anmeldepflichtigen Zusammenschluss zu vollziehen, bevor er angemeldet oder für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wurde, ist in Artikel 7 Absatz 1 der EU-Fusionskontrollverordnung festgelegt. Das Recht der Kommission, bei Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 oder Artikel 7 Absatz 1 Geldbußen zu verhängen, gründet sich auf Artikel 14 Absatz 2 Buchstaben a und b der EU-Fusionskontrollverordnung.
Unternehmen sind verpflichtet, in Anmeldungen und in Anträgen nach Artikel 4 der EU-Fusionskontrollverordnung sowie in Antworten auf Auskunftsverlangen nach Artikel 11 Absatz 2 der EU-Fusionskontrollverordnung richtige Angaben zu machen. Das Recht der Kommission, Geldbußen zu verhängen, wenn ein Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige oder irreführende Angaben macht, ist in Artikel 14 Absatz 1 der EU-Fusionskontrollverordnung verankert. (Europäische Kommission: ra)
eingetragen: 18.07.17
Home & Newsletterlauf: 14.08.17
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