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Gewinnermittlung nach der Tonnage


Tonnagebesteuerung – Vorlage an das BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Besteuerung bei unentgeltlicher Rechtsnachfolge
Im Streitfall hatte die Klägerin ihren Kommanditanteil an einer Schifffahrtsgesellschaft, die den Gewinn nach der Tonnage ermittelte, von ihren Eltern geschenkt erhalten, die damit aus der Gesellschaft ausschieden



Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 19.10.2023 – IV R 13/22 dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob § 52 Abs. 10 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG –) verstößt, soweit diese Vorschrift die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG für Wirtschaftsjahre anordnet, die nach dem 31.12.1998 beginnen.

Der Streitfall betrifft einen Fall der sog. Besteuerung nach der Tonnage. Dabei handelt es sich um eine besondere Art der Gewinnermittlung, die nur für den Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr vorgesehen ist. Die Folgen des Übergangs von der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zur Gewinnermittlung nach der Tonnage sind insbesondere in § 5a Abs. 4 EStG geregelt. Mit dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber beim Übergang zur Gewinnermittlung nach der Tonnage gegen eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven und für deren aufgeschobene Besteuerung entschieden. Hierfür werden die bis zum Wechsel der Gewinnermittlungsart entstandenen stillen Reserven in einem sog. Unterschiedsbetrag gesellschafterbezogen festgestellt und später – bei Vorliegen eines sog. Hinzurechnungstatbestands wie z.B. dem Ausscheiden des Gesellschafters oder der Veräußerung des Seeschiffs – der Besteuerung unterworfen.

Im Streitfall hatte die Klägerin ihren Kommanditanteil an einer Schifffahrtsgesellschaft, die den Gewinn nach der Tonnage ermittelte, von ihren Eltern geschenkt erhalten, die damit aus der Gesellschaft ausschieden. Der festgestellte Unterschiedsbetrag wurde jedoch, der damals geltenden Verwaltungsmeinung entsprechend, nicht anlässlich des Ausscheidens der Eltern gewinnerhöhend bei diesen erfasst, sondern seither bei der Klägerin fortgeführt. Im Jahr 2013 (Streitjahr) veräußerte die Schifffahrtsgesellschaft ihr Seeschiff.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass infolge dieses Vorgangs der Unterschiedsbetrag bei der Klägerin gewinnerhöhend aufzulösen sei. Denn der Gesetzgeber habe § 5a Abs. 4 EStG durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 02.06.2021 (AbzStEntModG) mit rückwirkender Geltung (vgl. § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG i.d.F. des AbzStEntModG) u.a. dahin ergänzt, dass der Unterschiedsbetrag im Fall der unentgeltlichen Übertragung des Mitunternehmeranteils auf den Rechtsnachfolger übergehe. Damit sei der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BFH, nach welcher der Unterschiedsbetrag bereits bei den Eltern im Jahr ihres Ausscheidens aus der Schifffahrtsgesellschaft gewinnerhöhend hätte aufgelöst werden müssen, der Boden entzogen und die bisherige langjährige Verwaltungspraxis gesetzlich verankert worden.

Während das Finanzgericht die Klage abgewiesen und die gesetzlich angeordnete Rückwirkung der Neuregelung als verfassungsgemäß beurteilt hatte, legte der BFH diese Frage dem BVerfG zur Entscheidung vor. Nach Ansicht des BFH verstößt die Neuregelung gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Es liege eine echte Rückwirkung vor, die verfassungsrechtlich durch keine der bislang vom BVerfG anerkannten Fallgruppen gerechtfertigt sei. Insbesondere habe der Gesetzgeber nicht zulässigerweise eine Rechtslage rückwirkend festgeschrieben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprochen habe. Zwar habe es über einen langen Zeitraum eine einheitliche Verwaltungspraxis gegeben, die bei unentgeltlichen Übertragungen inhaltlich der jetzt rückwirkend in Kraft gesetzten Neuregelung entspreche. Diese Auffassung der Finanzverwaltung sei aber zu keinem Zeitpunkt von der Rechtsprechung geteilt worden.

Unerheblich sei, ob die Klägerin aufgrund der veröffentlichten Verwaltungsmeinung (ggf.) nicht darauf habe vertrauen können, die Unterschiedsbeträge nicht versteuern zu müssen. Denn verfassungsrechtlich sei das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Verlässlichkeit der durch den Gesetzgeber geschaffenen und in die durch die Gerichte für richtig erkannte Rechtslage schutzwürdig, nicht aber ein Vertrauen in die veröffentlichte Verwaltungsauffassung. Wollte man dies anders sehen, könnte die Finanzverwaltung die Gesetzesauslegung stark vorprägen und die nach der Verfassung allein den Gerichten anvertraute rechtsprechende Gewalt inhaltlich nachhaltig beschneiden. Denn der Gesetzgeber könnte in derartigen Fällen eine ihm nicht genehme Auslegung eines Gesetzes durch die Rechtsprechung auch mit echter Rückwirkung im Sinne der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ändern. (Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs vom 1. Februar 2024: ra)

eingetragen: 09.02.24
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