Transparency: Bundestag schiebe Transparenz bei Nebeneinkünften auf die lange Bank Nichtregierungsorganisationen fordern in Offenem Brief Novellierung der Verhaltensregeln vor der Sommerpause
(22.06.11) - In einem Offenen Brief an Hermann Otto Solms, Vorsitzender der Rechtsstellungskommission und Vizepräsident des Deutschen Bundestags, sowie an die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen fordern die vier Nichtregierungsorganisationen Campact, LobbyControl, Mehr Demokratie und Transparency Deutschland eine zügige Beratung der Novellierung der Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete. Die vier Nichtregierungsorganisationen drängen darauf, die Untergrenze von 1.000 Euro bei der Veröffentlichung von Einnahmen aus Nebentätigkeiten beizubehalten.
Die vier Nichtregierungsorganisationen unterbreiten mit dem Offenen Brief einen Regelungsvorschlag, der sich eng an den bisherigen Beratungen der Rechtsstellungskommission orientiert und dennoch eine Offenlegung ab 1.000 Euro vorsieht. Wenn der ursprüngliche Vorschlag der Kommission lediglich missverständlich gewesen sei, wie es gehießen habe, dann stehe einer schnellen Beratung und Umsetzung noch vor der Sommerpause nichts im Wege.
Bereits am 14. April 2011 hat die Rechtsstellungskommission einen Vorschlag zur Änderung der Transparenzpflichten bei den Nebentätigkeiten veröffentlicht, der zwar einerseits mehr Transparenz bei Einkommen über 10.000 Euro gebracht hätte, andererseits sollten Einkommen unter 10.000 Euro unberücksichtigt bleiben.
Nach Protesten und der Übergabe von über 52.000 Unterschriften durch die vier Nichtregierungsorganisationen hat die Rechtsstellungskommission am 12. Mai 2011 beschlossen, die Beratungen fortzusetzen und eine einvernehmliche Regelung zu finden, die auch für mehr Transparenz im Bereich unter 10.000 Euro sorgt. Die vier Organisationen begrüßen dieses Bemühen und fordern eine zügige Umsetzung und nicht die Verschiebung auf die Zeit nach der Sommerpause, wie sie bereits diskutiert wird.
Die Bundesregierung will die Demokratie in Deutschland durch mehr Transparenz stärken. Darauf verweist sie in ihrer Antwort (20/3351)auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion (20/3193). Im Koalitionsvertrag sei unter anderem vereinbart, Parteiensponsoring ab einer Bagatellgrenze veröffentlichungspflichtig zu machen, die Pflicht zur sofortigen Veröffentlichung von Zuwendungen an Parteien auf 35.000 Euro herabzusetzen und eine Veröffentlichungspflicht einzuführen für Spenden und Mitgliedsbeiträge, die in der Summe 7.500 Euro pro Jahr überschreiten.
Die Koalitionsfraktionen ziehen Konsequenzen aus dem Verhalten von Alt-Kanzler und Lobbyist Gerhard Schröder (SPD) angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine. Das Büro des Bundeskanzler a.D. soll "ruhend gestellt" werden. Die dem Büro zugeordneten Stellen sollen nicht mehr nachbesetzt werden, die Stelleninhaber anderweitige Aufgaben wahrnehmen. Der Personenschutz durch das Bundeskriminalamt soll davon nicht betroffen sein.
Das parlamentarische Frage- und Informationsrecht vermittelt nach Auffassung der Bundesregierung keinen Anspruch auf Abgabe rechtlicher Bewertungen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung (19/31892) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (19/31564) hervor. Danach besteht eine Verpflichtung der Bundesregierung zur Beantwortung parlamentarischer Fragen "grundsätzlich nur dann, wenn durch die begehrte Auskunft ein Informationsvorsprung der Bundesregierung gegenüber dem Parlament ausgeglichen werden soll, damit der Deutsche Bundestag und seine Abgeordneten in die Lage versetzt werden, über die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Sachinformationen zu verfügen". In diesem Sinne könne das parlamentarische Frage- und Informationsrecht zwar als Grundlage nachfolgender Bewertungen und darauf aufbauender politischer Auseinandersetzungen fungieren, heißt es in der Antwort weiter. Es diene aber nicht dazu, eine in Bundestagsdrucksachen zu veröffentlichende nachvollziehbare juristische Debatte zwischen Parlament und Regierung zu erzwingen.
Das Vorhaben der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, durch Änderung des Abgeordnetengesetzes, die Transparenzregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages zu verbessern (19/28784), wird von Sachverständigen grundsätzlich unterstützt. Gleichwohl stoßen Teile der Neuregelung bei einigen Expertinnen und Experten auf verfassungsrechtliche Bedenken, wie aus den vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen zu einer Anhörung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hervorgeht. Künftig sollen anzeigepflichtige Einkünfte der Abgeordneten aus Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen dem Gesetzentwurf zufolge betragsgenau auf Euro und Cent veröffentlicht werden. Dabei sollen Einkünfte anzeigepflichtig sein, wenn sie im Monat 1.000 Euro oder bei ganzjährigen Tätigkeiten im Kalenderjahr in der Summe den Betrag von 3.000 Euro übersteigen. Ferner sollen laut Vorlage Beteiligungen der Parlamentarier sowohl an Kapitalgesellschaften als auch an Personengesellschaften bereits ab fünf Prozent statt wie bislang ab 25 Prozent der Gesellschaftsanteile angezeigt und veröffentlicht werden, dabei erstmals auch indirekte Beteiligungen. Auch Einkünfte aus anzeigepflichtigen Unternehmensbeteiligungen wie etwa Dividenden oder Gewinnausschüttungen sollen anzeige- und veröffentlichungspflichtig werden - ebenso die Einräumung von Optionen auf Gesellschaftsanteile, die als Gegenleistung für eine Tätigkeit gewährt werden.
Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur "Verbesserung der Transparenzregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages" (19/28784) vorgelegt. Ziel der vorgesehenen Änderung des Abgeordnetengesetzes ist es der Begründung zufolge, "mehr Transparenz im parlamentarischen Bereich zu schaffen und verlorenes Vertrauen in die parlamentarische Arbeit zurückzugewinnen". Die derzeitige Diskussion über dieses Thema habe gezeigt, dass eine Reform der bisherigen Rechtslage unerlässlich sei. "Aktuelle Vorkommnisse und Berichte über Mitglieder des Deutschen Bundestages, die mit Beratertätigkeiten persönliche Gewinne im Zusammenhang mit der Beschaffung von medizinischen Produkten erzielten, zeigen, dass die geltenden Transparenzregeln im Abgeordnetengesetz erhebliche Regelungslücken aufweisen", schreiben die vier Fraktionen. Derartige Tätigkeiten seien zumindest unter abgeordnetenrechtlichen Gesichtspunkten bisher rechtlich zulässig, "obwohl sie mit der Unabhängigkeit des Mandates und der gebotenen Vermeidung von Interessenkonflikten nicht vereinbar sind".
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