Diagnosen nicht unzulässig beeinflussen
Anlass für die gesetzliche Initiative sind Strategien der Krankenkassen, über bestimmte Diagnosen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen
Je kränker Versicherte sind, umso höher fallen die Zuweisungen an die Krankenkassen aus
Gesundheitsexperten befürworten die geplante gesetzliche Klarstellung, wonach sich Krankenkassen oder Ärzte über eine unzulässige Beeinflussung von Diagnosen keine finanziellen Vorteile verschaffen dürfen. Die Koalition will solche Verträge über eine Ergänzung im derzeit beratenen Gesetzentwurf (18/10186) zur Reform der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) explizit untersagen. Anlässlich einer Anhörung über die dazu vorliegenden Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen sprachen Sachverständige im Gesundheitsausschuss des Bundestages von einer sinnvollen, aber womöglich nicht ausreichenden Änderung.
Anlass für die gesetzliche Initiative sind Strategien der Krankenkassen, über bestimmte Diagnosen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen. Dazu versuchen die Kassen, auf die Diagnosekodierung der Ärzte Einfluss zu nehmen. Dabei geht es speziell um Fälle, die nach dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) relevant sind. Je kränker Versicherte sind, umso höher fallen die Zuweisungen an die Krankenkassen aus.
Es sind drei Strategievarianten bekannt: Mit Hilfe externer Dienstleister, über sogenannte Kodierberater sowie über Betreuungsstrukturverträge, wobei für jeden Patienten, bei dem der Arzt eine RSA-relevante Krankheit feststellt, eine Provision gezahlt wird.
In der Begründung der Änderungsanträge wird festgehalten, dass die Aufsichtsbehörde und die betroffenen Vertragsparteien rechtswidrige Vertragsgestaltungen unverzüglich zu beenden haben. Die Krankenkassen werden zur Mitwirkung bei der Aufklärung von Zweifelsfällen verpflichtet. Verweigern sie dies, kann das Bundesversicherungsamt (BVA) ein Zwangsgeld von bis zu zehn Millionen Euro verhängen. Um Auffälligkeiten bei den Krankenkassendaten besser zu erkennen, soll ab 2018 der RSA auch mit Hilfe einer regionalen Zuordnung der Patienten analysiert werden.
Der Ersatzkassenverband (vdek) sprach sich dafür aus, die Regionalkomponente rascher einzuführen und auch für einen Neuzuschnitt des Morbi-RSA heranzuziehen. Es sei bekannt, dass die Kosten für die Gesundheitsversorgung regional stark differierten. So seien die Ausgaben in Ballungsräumen höher als auf dem Land. Im Morbi-RSA würden zwar die alters-, geschlechts- und krankheitsbedingten Unterschiede in der Versichertenstruktur der Krankenkassen ausgeglichen, nicht aber die konkreten Versorgungsbedingungen vor Ort. Dies sei ein ,,Konstruktionsfehler".
Der Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK) erklärte, die Änderungen seien nicht ausreichend, um die Manipulationsanreize im Morbi-RSA zu beseitigen. So bestünden bestimmte Vertragskonstellationen fort, über die ein Einfluss auf die Kodierung weiter möglich sei. Bei diesen Vertragsformen würden pauschale Vergütungen für die Behandlung bestimmter Krankheitsbilder vereinbart und ein Behandlungsumfang festgelegt. Wenn die Kassen solche Krankheitsbilder auswählten, für die es Zuschläge aus dem Morbi-RSA gebe und die Behandlung bei vollständiger Kodierung zusätzlich vergütet werde, sei die Wirkung identisch mit dem Effekt der Betreuungsstrukturverträge.
Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßte die geplanten Änderungen, befürchtet jedoch, dass die Kassen auf Selektivverträge ausweichen, wenn die bisherigen Regelungen in Gesamtverträgen untersagt werden. Der Verband forderte die Einführung verbindlicher ambulanter Kodierrichtlinien. Ferner müssten Selektivverträge begutachtet, beaufsichtigt und veröffentlicht werden, um die Mittelverschwendung und Verzerrungen über das sogenannte Upcoding zu verhindern.
In der Anhörung mit beraten wurde ein Antrag (18/10252) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Reform des Morbi-RSA. Es bestünden von den Krankenkassen nicht beeinflussbare, zum Teil erhebliche Über- und Unterdeckungen bei unterschiedlichen Versichertengruppen, die Reformbedarf bei der Zielgenauigkeit des Systems offenbarten, heißt es in dem Antrag. Da schon kleine Änderungen im Ausgleichssystem des Morbi-RSA erhebliche Verschiebungen der Finanzströme zur Folge haben könnten, müssten die verschiedenen Reformoptionen umfassend geprüft werden.
Mehrere Sachverständige bestätigten in der Anhörung, dass es beim Morbi-RSA zu Über- und Unterdeckungen komme. Umso wichtiger sei die Wiedereinführung einer Regionalkomponente, um genauere Informationen zu erhalten. Der Gesundheitsökonom Volker Ulrich von der Universität Bayreuth sagte, Studien hätten gezeigt, dass es einen "Flickenteppich" von Über- und Unterdeckungen gebe. Somit spreche viel dafür, eine Regionalkomponente aufzunehmen.
Vertreter von BKK und AOK sprachen sich dafür aus, die Kodierqualität insgesamt mit verbindlichen Richtlinien zu verbessern, etwa im Bereich der sogenannten Volkskrankheiten. Eine Vertragsärztin sagte, die korrekte Kodierung sei tägliche Pflicht der Mediziner. Anreize für bestimmte Kodierungen seien ethisch nicht vertretbar. (Deutscher Bundestag: ra)
eingetragen: 04.03.17
Home & Newsletterlauf: 31.03.17
Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>