Anwendung des Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz


Leiharbeit: Jobmotor für die einen, Zweite-Klasse-Arbeitsplätze für die anderen
Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Lediglich sieben Prozent der Zeitarbeiter werden dauerhaft beschäftigt


(07.07.10) - Das Urteil über die Leiharbeit fällt unter Experten höchst unterschiedlich aus. Dies zeigte ich bei der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Anlass der Expertenbefragung waren der "Elfte Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes" (17/464) sowie drei Anträge der Fraktionen der SPD (17/1155), Die Linke (17/426) und von Bündnis 90/Die Grünen (17/551).

Johannes Jakob vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) berichtete, dass es von 2008 bis zum zweiten Quartal 2009 "mehr Abgänge als Eintritte" in die Zeitarbeit gegeben habe, dass es dort "nach wie vor keine stabilen Beschäftigungsverhältnisse" gebe, die Beschäftigungszeiten kurz seien und die Lohnunterschiede hoch. Von den Zeitarbeitern würden diese als "ungerecht" empfunden.

Dem hielt Dr. Jürgen Wuttke von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) entgegen, dass die Zeitarbeit ein "regelrechter Jobmotor" sei, der dem Konjunktur-Aufschwung ein Stück vorauseile. Im Frühjahr 2006 hätten 75 Prozent aller Neueinstellungen in der Zeitarbeit stattgefunden, 2008 sei es nur noch jeder zehnte Neubeschäftigte gewesen. Derzeit gebe es laut Bundesagentur für Arbeit (BA) rund 600.000 Zeitarbeits-Beschäftigte.

Christian Rauch von der Bundesagentur für Arbeit sagte, durch die Zeitarbeit sei die Beschäftigungsschwelle von 2,3 Prozent Wirtschaftswachstum auf "deutlich unter 2 Richtung 1" gesunken. 62 Prozent der in der Zeitarbeit neu Beschäftigten seien zuvor ohne "direkte Beschäftigung" gewesen".

Sowohl der Vertreter der BA als auch Claus-Georg Schneider vom Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. wandten sich gegen die Rücknahme der in den Jahren 2003 und 2004 geschaffenen Erleichterungen bei der Einstellung von Zeitarbeitnehmern, da dies den Unternehmen Flexibilität nähme.

"Dann könnten möglicherweise Arbeitsplätze verloren gehen", sagte auch Samuel Marseaut vom Bundesverband Zeitarbeit. Er glaube nicht, dass die Unternehmen alternativ normale Vollzeit-Arbeitsplätze schaffen würden. Die Firmen würden andere flexible Instrumente nutzen oder die Produktion ins Ausland verlagern.

Rainer Huke von der BDA betonte, dass es sich um einen klaren Missbrauch der bestehenden Gesetze handele, wenn Unternehmen Stammbelegschaften entließen und sie in angegliederten Zeitarbeitsunternehmen zu geringeren Tariflöhnen beschäftigten. Eine "Anti-Schlecker-Klausel" sei inzwischen von fast allen Tarifvertragsparteien aufgegriffen worden. Huke riet dazu, den Begriff "Leiharbeit" zu ersetzen, "man verleiht Sachen, nicht Menschen". Er verwies darauf, dass die Zeitarbeiter in normalen, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen stünden.

Johannes Jakob vom DGB sagte, dass nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), "lediglich sieben Prozent" der Zeitarbeiter dauerhaft beschäftigt würden. Die Deregulierung sei völlig überzogen worden. Er kritisierte den Bericht der Bundesregierung, der "viele Studien nicht berücksichtigt" und kaum auf die gravierenden Lohnunterschiede zwischen Stammbelegschaft und Leiharbeitern eingehe.

Markus Breitscheidel, der nach eigenen Angaben "zwei Jahre under cover" in der Leiharbeitsbranche gearbeitet hat, berichtete detailliert von den unterschiedlichen Behandlungen bei Lohn, Kleidung, Kantinenessen oder Parkplätzen. Was er von den Arbeitgeberverbänden in der Anhörung gehört habe, sei "alles weit weg von der Realität".

Der Soziologe Professor Klaus Dörre beschrieb den Trend zu einer Mehrklassen-Arbeitnehmerschaft und sagte, bei der "strategischen Nutzung" der Leiharbeit gehe es den Unternehmen nicht um dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse, sondern darum Arbeitnehmer "unterhalb der Standards" anzustellen. (Deutscher Bundestag: ra)


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