Einig über Beschuldigtenrechtereform


Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Rolf Raum, die im Gesetzentwurf angelegte "zunehmende Formalisierung" der Verteidigerrechte würde "Verfahren schwerfälliger und ineffizienter machen"
Eine der Klarstellungen betrifft das Anwesenheitsrecht des Verteidigers schon bei der ersten polizeilichen Vernehmung



Ein Gesetzentwurf der Deutschen Bundesregierung (18/9534), der die Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren regelt, ist bei Sachverständigen im Grundsatz auf Zustimmung gestoßen. Bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses beschränkte sich ihre Kritik auf Einzelheiten. Das vorgeschlagene "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts" soll hauptsächlich eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Zudem sind Änderungen im Recht für ehrenamtliche Richter enthalten.

Die Bundesregierung weist in dem Gesetzentwurf darauf hin, dass die Rechtslage in Deutschland schon weitgehend der EU-Richtlinie entspräche und sich daher der Änderungsbedarf in Grenzen halte. Dem stimmten die Sachverständigen nicht nur zu, sie wiesen auch darauf hin, dass viele der vorgeschlagenen Neuerungen nur kodifizierten, was ohnehin Stand der Rechtsprechung sei. Sie seien daher "zum Teil entbehrlich", wie der Osnabrücker Rechtsprofessor Arndt Sinn meinte, "aber eventuell zur Klarstellung sinnvoll".

Eine dieser Klarstellungen betrifft das Anwesenheitsrecht des Verteidigers schon bei der ersten polizeilichen Vernehmung. Die Polizei wird verpflichtet, aktiv bei der Suche eines Verteidigers zu helfen. Auch ist der Verteidiger bei einzelnen Ermittlungsschritten wie Gegenüberstellung vorab zu informieren und zu beteiligen. Der Berliner Strafverteidiger Stefan Conen hob einerseits die Bedeutung dieser Regelung hervor und verwies auf Untersuchungen zu später revidierten Fehlurteilen, wonach Unschuldige vor allem infolge falscher Identifizierung verurteilt würden. Wichtiger als das Teilnahmerecht des Verteidigers sei aber, dass von diesen Vorgängen Videoaufzeichnungen angefertigt werden, die bei Zweifeln vor Gericht herangezogen werden könnten. Auch für andere Vorgänge im polizeilichen Ermittlungsverfahren wie Belehrungen sollten Aufzeichnungen vorgeschrieben werden. Bei Verfahrensfehlern trage der Beschuldigte die Beweislast, aber ohne Dokumentation könne er diesen Beweis kaum erbringen.

Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Rolf Raum warnte dagegen, die im Gesetzentwurf angelegte "zunehmende Formalisierung" der Verteidigerrechte würde "Verfahren schwerfälliger und ineffizienter machen". Ähnlich argumentierte der Marburger Oberstaatsanwalt Gert-Holger Willanzheimer. Die vorgesehene Verpflichtung, im Verlauf eines Ermittlungsverfahrens "jedes Mal aktiv den Verteidiger zu benachrichtigen", führe "zu einer Verkomplizierung". Ausdrücklich begrüßte dagegen der Vertreter des Deutschen Anwaltsvereins, Michael Rosenthal, die umfassenden Mitwirkungsrechte der Verteidiger im Ermittlungsverfahren. So werde "bei Tat-Rekonstuktionen unglaublich viel übersehen". Die Anwesenheit des Verteidigers könne hier helfen, Fehler zu vermeiden.

Gleich mehrere Sachverständige kritisierten eine vorgeschlagene Änderung des Jugendgerichtsgesetzes. Darin geht es um die Rechte festgenommener Jugendlicher und um die Pflicht, ihre Eltern zu benachrichtigen. Diese Benachrichtigung soll unterbleiben können, wenn - etwa im Fall krimineller Familien - durch die Benachrichtigung der Ermittlungserfolg gefährdet oder das Kindeswohl beeinträchtigt würde. Hier sahen Gutachter zum einen Widersprüche zwischen einem neu einzuführenden Paragrafen und einem weiterbestehenden alten. Zum anderen forderte der Passauer Rechtswissenschaftler Robert Esser für einen solch "weitgehenden Eingriff ins Elternrecht" genauere Regelungen und zeitliche Grenzen.

Die im Gesetzentwurf mit enthaltenen Änderungen im Schöffenrecht sollen es einerseits den Gemeinden erlauben, leichter genügend ehrenamtliche Richter zu finden, andererseits Schöffen besser vor Überlastung schützen. Andreas Kreutzer vom Deutschen Richterbund lobte daran insbesondere die Abschaffung einer Bestimmung, wonach Schöffen nach zwei fünfjährigen Amtszeiten einmal aussetzen müssen, und hob den Wert erfahrener Schöffen hervor. Auch dass die Vorschlagsliste für eine Schöffenwahl doppelt so viele Bewerber wie zu vergebende Ämter enthalten soll, begrüßte Kreutzer. Die vom Bundesrat vorgesehene Begrenzung auf das Eineinhalbfache lehnte er unter Hinweis auf die demokratische Legitimation sowie auf notwendige Nachrücker für ausfallende Schöffen ab. (Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 18.01.17
Home & Newsletterlauf: 10.02.17


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Risikostrukturausgleich der Krankenkassen

    Verschiedene gesetzliche Initiativen der vergangenen Jahre zielen nach Angaben der Bundesregierung darauf ab, unzulässige Einflussnahmen auf die Datengrundlagen des Risikostrukturausgleichs (RSA) der Krankenkassen zu verhindern und die Manipulationsresistenz des RSA zu stärken. Zuletzt sei mit dem "Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz" (GKV-FKG) 2020 die sogenannte Manipulationsbremse eingeführt worden, heißt es in der Antwort (20/14678) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/14442) der Unionsfraktion.

  • Souveräne Dateninfrastruktur

    Die Bundesregierung strebt eine effiziente, wirtschafts- und innovationsfreundliche Umsetzungsstruktur der europäischen KI-Verordnung an, die knappe Ressourcen klug einsetzt. Das antwortet die Bundesregierung (20/14421) der AfD-Fraktion auf eine Kleine Anfrage (20/14109).

  • FDP legt Gesetzentwurf für flexibleres Stromsystem

    Die FDP-Fraktion hat den Entwurf eines Gesetzes (20/14705) zur "Integration von Photovoltaik- und anderen Erneuerbare-Energien-Anlagen in den Strommarkt und zur Vermeidung solarstrombedingter Netznotfall-Maßnahmen" vorgelegt. Er soll einerseits der Umsetzung der "Wachstumsinitiative der damaligen Bundesregierung vom Juli 2024 dienen.

  • Fairer Wettbewerb im digitalen Sektor

    Bis zum 5. Dezember 2024 haben die Koordinierungsstelle für digitale Dienste in der Bundesnetzagentur (BNetzA) 747 Eingänge von Beschwerden erreicht. Bereinigt um Irrläufer und Spam seien 703 konkrete Beschwerden zu möglichen Verstößen gegen den Digital Services Act (DSA) eingelegt worden.

  • Provisionsverbot noch nicht absehbar

    Ob beziehungsweise inwieweit im Zuge der nationalen Umsetzung der EU-Kleinanlegerstrategie national Maßnahmen ergriffen werden könnten, um Provisionen für den Abschluss von Versicherungsverträgen zu verbieten oder zu deckeln, ist noch nicht absehbar. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/14411) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (20/14172) weiter mitteilt, haben die Trilogverhandlungen auf europäischer Ebene noch nicht begonnen.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen