Online-Durchsuchung stark umstritten


Eine Anhörung des Rechtsausschusses zeigte: Die Neugestaltung der Telekommunikationsüberwachung ist stark umstritten
Entwurf geeignet, das Zeugnisverweigerungsrecht zu untergraben und die von staatlichen Eingriffen ungestörte Redaktionsarbeit nachhaltig zu relativieren


(20.09.07) - Bei einer Anhörung des Rechtsausschusses am Mittwochnachmittag ging es um die Neugestaltung der Telekommunikationsüberwachung. Wie zu erwarten, wurde sie stark kontrovers diskutiert.

In dem vorliegenden Entwurf der Regierung (16/5846) soll unter anderem geregelt werden, dass auch ohne Wissen der Betroffenen die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden kann. Als Voraussetzung gelte, dass die Behörden den Verdacht haben, dass jemand als Täter einer schweren Straftat in Fragen komme und die Erforschung der Tat auf andere Weise nur sehr schwer oder gar nicht möglich ist. Die Sachverständigen übten aber - teilweise recht massive - Kritik in einzelnen Detailfragen.

So war Kriminalhauptkommissar Ernst Wirth vom Bayerischen Landeskriminalamt in München der Meinung, der Entwurf enthalte aus polizeipraktischer Sicht zwar zahlreiche begrüßenswerte Regelungen, sei aber in einigen Punkten wenig praxistauglich. Er werde, so prognostizierte der Sachverständige, zu einer zusätzlichen Belastung der Ermittlungsbehörden durch bürokratische Auflagen führen. Als Beispiel nannte der Sachverständige unter anderem, dass zwar bestimmte Fälle des Computerbetrugs sowie Korruptionsdelikte als Straftaten gelten würden, nicht aber Vorteilsannahme (wenn ein zu teures Geschenk angenommen wird) und Vorteilsgewährung (wenn beispielsweise ein Unternehmen einem Amtsträger als Gegenleistung für seine Dienstausübung etwas schenkt). Die Argumentation der Regierung, wonach hierbei kein Anlass für eine Telekommunikationsüberwachung bestehe, sei aus polizeilicher Sicht nicht nachvollziehbar.

Wirth, der Richter am Bundesgerichtshof Jürgen-Peter Graf und der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Ralf Günther übten gemeinsam Kritik an der ins Auge gefassten Reduzierung der Überwachungsdauer von drei auf zwei Monate. Dies sei aus Sicht der polizeilichen Praxis weder geboten noch praktikabel. Diese Reduzierung könne zu einem erheblichen Mehraufwand für die Gerichte führen, welcher kaum zu rechtfertigen sei. Ein Misstrauen gegenüber den Staatsanwaltschaften, das im Entwurf durchscheine, sei ebenfalls fehl am Platz. Untersuchungen hätten ergeben, dass die meisten Telekommunikationsüberwachungen allenfalls bis zu zwei Monate dauerten.

Roland Helgerth, Generalstaatsanwalt in Nürnberg, war ebenfalls der Ansicht, den Staatsanwälten werde nicht das Vertrauen entgegengebracht, mit der Telekommunikationsüberwachung sachgerecht umzugehen. Das Misstrauen äußere sich unter anderem in einer vermehrten Einschaltung des Ermittlungsrichters und in einer Benachrichtigung der auch nur entfernt Betroffenen.

Widerspruch kam von dem Bielefelder Rechtsprofessor Christoph Gusy: Die Verlängerung der bisher geltenden Drei-Monats-Frist geschehe oft "routinemäßig" - statt zu prüfen, warum das Abhören keine Erkenntnisse zu Tage gefördert habe.

Der Berliner Rechtswissenschaftler Professor Klaus Rogall war der Ansicht, dass über die Bedeutung und den Umfang des Begriffs "Kernbereich privater Lebensgestaltung" - in dem staatliche Behörden nicht abhören dürfen - "heillose Verwirrung" herrsche. Der Regierung bescheinigte der Sachverständige, dass diese das Urteil des Bundesverfassungsgerichts angemessen umgesetzt habe.

Nach Auffassung von Benno H. Pöppelmann, Justiziar des Deutschen Journalisten-Verbandes, schlage die Regierung mit ihrem Entwurf einen Weg ein, der geeignet sei, dem durch das Zeugnisverweigerungsrecht bezweckten Schutz der Informanten und der von staatlichen Eingriffen ungestörten Redaktionsarbeit nachhaltig zu relativieren. Wenn Informanten zudem befürchten müssten, dass ihre Informationen gegenüber Journalisten mitgeschnitten werden könnten, selbst wenn sie sich in ihrer oder einer anderen Wohnung aufhielten, wäre die journalistische Arbeit "massiv gefährdet".

Fredrik Roggan von der "Humanistischen Union" warf der Regierung vor, ihr Gesetzentwurf weise ein einseitiges rechtspolitisches Verständnis auf. Er behaupte "pauschal", dass alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen unverzichtbar seien. Er untersuche vorrangig, ob die vorgeschlagenen Beschränkungen in Sinne einer effektiven Strafverfolgung vertretbar seien. Auf die Frage, ob denn die jeweilige Ermittlungsmaßnahme wirklich unverzichtbar sei, werde an keiner Stelle eingegangen.

Die Berliner Rechtsanwältin Margarethe von Galen meinte, der Gesetzentwurf der Regierung löse das Versprechen, das Recht staatlicher Behörden auf verdeckte Telefonüberwachung zu harmonisieren, im Detail nicht ein. Dem Entwurf der Grünen (16/3827) sei deshalb der Vorzug zu geben. (Deutsche Bundesregierung: ra)

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